Die Sache mit der Pubertät Plötzlich kein Kind mehr Redaktion Mit dem Teenageralter endet die bis dahin schöne Zeit, die Eltern mit ihren Kindern verbringen dürfen. So zumindest scheint die landläufige Meinung, wenn es um das Thema Pubertät geht. Gerne werden die Heranwachsenden dann als besonders schwierig dargestellt, die Eltern-Kind-Beziehung als besonders kompliziert. Aber wie viel ist wirklich dran am Mythos von allseits meckernden, ewig bockigen und ungehorsamen Pubertier? Nur eine Phase? Womit sich Eltern stets zu beruhigen versuchen, wenn ihre Kinder altersmäßig mit großen Schritten auf die Pubertät zu gehen, ist die Hoffnung darauf, dass die – mutmaßlich – bevorstehenden Querelen irgendwann auch wieder ein Ende finden. Spätestens mit dem Auszug aus dem Elternhaus, obwohl der wiederum häufig genug mit Trennungsschmerz verbunden ist. Dennoch bleibt der tröstliche Gedanke, dass mit dem Ende der Pubertät und dem Start in das Erwachsenendasein endlich wieder Vernunft in die Köpfe der Kinder einzieht. Woran sich eigentlich schon erkennen lässt, dass die Teenager selten das einzige „Problem“ während der Zeit des Heranwachsens ihrer Sprösslinge sind. Wirklich problematisch ist in erster Linie eine Betrachtungsweise wie die oben beschriebene und das aus mehreren Gründen: Es ist irgendwo im Bereich zwischen „falsch“ und „zu einfach“, das pubertäre Verhalten als unvernünftig abzustempeln. Vor allen dann, wenn ein unterschwelliger Vorwurf der Absicht mitschwingt. Tatsächlich mag manche Provokation in einer Auseinandersetzung mit den Eltern durchaus gezielt eingesetzt werden. Aber grundsätzlich gibt es nicht so etwas wie eine vorsätzliche Pubertät, die Heranwachsende dazu zwingt, ihre Eltern um jeden Preis an den Rand der Verzweiflung zu bringen. Genauso wenig kann davon ausgegangen werden, dass sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern mit dem Erreichen der Volljährigkeit plötzlich wieder vollkommen wandelt und harmonisch wird. Das ist das generelle Problem, wenn die Entwicklung des Kindes auf bestimmte Phasen heruntergebrochen wird. Entwicklungsphasen verlaufen individuell Natürlich sollte jedem klar sein, dass diese Entwicklungsphasen unterm Strich kaum mehr sind als Hilfskonstrukte. Dabei ist es sogar unerheblich, ob diese sich an Altersklassen oder Verhaltensweisen orientieren, denn es bleiben schlussendlich Verallgemeinerungen. Und die sind bekanntermaßen denkbar ungeeignet, um der Entwicklung eines einzigartigen Individuums Rechnung zu tragen. Aber es sind eben nicht nur die individuellen Abweichungen von derartigen Phasenmodellen, die schon deutlich machen, wie wichtig in erster Linie der Blick auf das einzelne Kind ist. Es ist vor allem die Prozesshaftigkeit der kindlichen Entwicklung, die eine Einteilung in eindeutig voneinander abgrenzbare Phasen äußerst schwermacht. Die Pubertät ist in dieser Hinsicht das beste Beispiel, denn seit Jahren wird darüber gerätselt, wie genau es sein kann, dass diese „Phase“ immer früher beginnt, zum Teil schon vor dem Teenageralter. Das ist allerdings nur ein weiterer Punkt, der den Kindern nicht angelastet werden kann, vielfach erfordern es die Umstände schon, dass die sich frühzeitig in Richtung Selbständigkeit entwickeln. Zum Beispiel wird ihnen durch Ganztagsschulen und außerschulische Aktivitäten schon früh ein Rhythmus antrainiert, der sich nicht so sehr von dem eines Erwachsenen unterscheidet, die Schulzeit soll generell verkürzt werden, mit 16 Jahren sind die Heranwachsenden bereits wahlberechtigt und nur wenig später auf dem Weg hinters Lenkrad. Wer nicht gerade Abitur macht, ist damit spätestens im Alter von 17 mit weitgehend allen Voraussetzungen ausgestattet, die zum Erwachsensein braucht. Trotzdem fühlen sich Eltern überrumpelt, wenn ihre Kinder „plötzlich“ für sich selbst Entscheidungen treffen wollen. Autonomiestreben ist kein pubertäres Verhalten Was über die Diskussionen zur frühzeitigen Pubertät oft ausgeblendet wird, ist die Tatsache, dass Kinder nicht erst als Teenager anfangen, ihre Autonomie von den Eltern einzufordern. Im Grunde genommen ist jede neu gelernte Fähigkeit nur ein weiterer Schritt – beim Laufen lernen sogar wortwörtlich – in Richtung Selbständigkeit. Nur sind die ersten Schritte auf den noch wackligen eigenen Beinen ein Grund zur Freude, während der Wunsch nach längerem Ausgehen am Wochenende für Panikattacken sorgt. Sicherlich hinkt der Vergleich und trotzdem markieren beide Ereignisse auch bloß Punkte auf einer fortlaufenden Entwicklungslinie – und zwar auf ein und derselben. Daran ändert auch die Pubertät nichts, wenngleich sie ansonsten sehr vieles verändert. Das betrifft aber zunächst einmal die Pubertierenden selbst, die teils rapide körperliche (aber nicht ausschließlich) Veränderungen an sich wahrnehmen und diese erst einordnen müssen. Ganz so, wie sich selbst ganz neu in soziale Gefüge wie die Familie einordnen müssen. Das damit einhergehende Dilemma wird gerade bei familiären Festlichkeiten immer am deutlichsten offenbar: Teenager, in welchem Stadium der Pubertät auch immer, sitzen bei solchen Gelegenheiten häufig zwischen den Stühlen. Sie fühlen sich schon zu alt und erwachsen, um sich noch mit den kleineren Kindern abzugeben, andererseits sind sie auch noch nicht soweit, als vollwertige Erwachsene durchzugehen. Da ist es nicht wirklich verwunderlich, wenn Frust wegen der eigenen Rolle innerhalb der Familie aufkommt und Reibungen entstehen. Auf der Suche nach der neuen Rolle Denn die Identitätsfindung verlangt von den Heranwachsenden Orientierung an ganz verschiedenen Stellen und führt sie häufig genug in den Konflikt, sich einerseits um die immer wichtiger werdenden eigenen Bedürfnisse zu kümmern und andererseits die Erwartungen der Eltern nicht zu enttäuschen. Dass dabei die eigenen Belange auch einmal über die der Eltern gestellt werden, gehört zum Loslösungsprozess dazu. Immerhin gilt es viele Aspekte im Verhältnis zu sich selber und zur Umwelt neu zu beurteilen. Bei genauerer Betrachtung unterscheiden sich die damit verbundenen Aufgaben im Kern nur wenig von einem kindlichen „Mama, ich kann das alleine“, nur sind die Themen andere: Zu den persönlichen Aufgaben gehört es, Selbständigkeit hinsichtlich wichtiger Entscheidungen zu erlangen – das betrifft etwa die Frage, wann man nach Hause kommt, welche Kleidung man trägt und das Einstehen für seine Rechte. Ein wichtiger Aspekt ist darüber hinaus das eigenständige Meistern von Alltagssituationen, vom Weggehen mit Freunden über das Ausgeben von eigenem Geld bis hin zum Urlaub ohne Erwachsene. Damit einher geht die Entwicklung von Selbstbewusstsein und das Aneignen eigener Wertmaßstäbe – und das alles vor dem Hintergrund körperlicher Veränderungen. Ein weiteres Aufgabenfeld dreht sich um Beziehungen und das meint nicht so sehr die innerfamiliären, sondern vielmehr Freundeskreise und intime Beziehungen, die jetzt eine immer wichtigere Rolle spielen. Außerdem ist für die Pubertierenden immer deutlicher die tatsächliche Unabhängigkeit von den Eltern erkennbar: Der Schulabschluss steht bevor und damit der Schritt ins Berufsleben. Das bedeutet einerseits finanzielle Unabhängigkeit und früher oder später einen eigenen Haushalt. Es bedeutet andererseits aber genauso mehr Verantwortung, nicht nur für sich selbst, sondern gegebenenfalls auch für eine eigene Familie. Eine schwierige Situation für die Kinder und die Eltern, daran besteht kein Zweifel. Im Prinzip müssen nämlich alle Familienmitglieder ihre Rollen überdenken und sich in die neue Situation einfinden, da sind Mama und Papa keine Ausnahme. Im Gegenteil sind sie umso mehr gefordert, auch wenn die landläufige Darstellung pubertierender Teenager im Normalfall von einer hartnäckigen Erziehungsresistenz ausgeht. Gerade in dieser Zeit persönlicher Unsicherheit ist elterliche Führung mehr denn je gefragt – aber sie muss angemessen sein. Der richtige Umgang mit pubertierenden Teenagern Keine leichte Aufgabe, nicht zuletzt deshalb, weil sie eine permanente Reflexion der Beziehung zum Kind und dessen Bedürfnissen sowie der eigenen Rolle verlangt. Das Ganze auf einem emotionalen Tretminenfeld tun müssen, erschwert die Aufgabe zusätzlich und führt zu Fehlern im Umgang mit den Pubertierenden. In Einzelfällen ist das nur menschlich und wahrscheinlich nicht einmal zu vermeiden. Sie dürfen eben nicht zur Regel werden, da sich das Konfliktpotenzial dadurch nur erhöht. Daher gilt es, bestimmte Verhaltensmuster gegenüber pubertierenden Kindern abzulegen: Es hilft niemandem, die Gefühle und Probleme eines Heranwachsenden als bloße Pubertätssymptome abzutun. Natürlich ist die Pubertät in vielerlei Hinsicht der Auslöser, trotzdem – oder gerade deswegen – müssen Probleme und Gefühle ernstgenommen werden. Nur dadurch können die Kinder damit fertig werden. Teenager brauchen Freiraum, um die oben beschriebenen Aufgaben wirklich lösen zu können, deswegen ist es kaum hilfreich, sie ständig unter Kontrolle halten zu wollen. Das wird allzu häufig als Bevormundung und mangelndes Vertrauen aufgefasst. Dass solche Freiräume auch einmal genutzt werden, um Grenzen bewusst zu überschreiten, ist ein für Kinder normales Verhalten, bringt Eltern aber regelmäßig zur Weißglut. Daraus dürfen aber keine Vorwürfe resultieren, die die Teenager in genau die untergeordnete Rolle drängen, aus der sie sich eigentlich lösen wollen. Umgekehrt ist es genauso wenig hilfreich, jede Auseinandersetzung zu scheuen, um mögliche Konflikte zu vermeiden. Diese Auseinandersetzungen sind aber notwendig, damit das Kind einerseits einen eigenen Standpunkt finden kann und andererseits lernt, auch andere Standpunkte – in dem Fall den der Eltern – zu respektieren. Selbst, wenn die Meinungen nicht übereinstimmen sollten. Unangemessenes Verhalten muss Konsequenzen haben, aber nicht zwingend Strafen nach sich ziehen. Das erfordert eine intensive Kommunikation, allerdings führt ein Mitspracherecht beim Festlegen von Regeln eher dazu, dass diese eingehalten werden. Die Konsequenzen, die ein Bruch solcher Regeln nach sich zieht, lassen sich dann auch leichter nachvollziehen, als eine Strafmaßnahme, die wahrscheinlich als willkürlich empfunden wird. Deshalb ist ebenfalls nicht sonderlich hilfreich, das Verhalten durch übermäßige Verbote kontrollieren zu wollen. Reibereien nicht persönlich nehmen Am allerwichtigsten – und gleichzeitig am schwersten – ist es jedoch, die pubertären Reibereien nicht persönlich zu nehmen. Denn so schmerzhaft und provokant Verhalten und Äußerungen von Pubertierenden auch sein mögen, so wenig dürfen sie dazu führen, dass die Eltern ihre Kinder deswegen alleine lassen. Schließlich werden Mama und Papa, ganz gleich, wie erwachsen sich das Kind bereits fühlen mag, immer noch als wichtige Orientierungspunkte für die weitere Entwicklung gebraucht.