Pubertät - Die permanente Krise

Pubertät

Die permanente Krise

Wenn das Kinderzimmer nach Bärenhöhle riecht und ein ewig nörgelndes Wesen von der Couch verschlungen wird, dann wissen Sie, dass Ihr Kind und Sie in der Pubertät angekommen sind. Willkommen in der Zeit der Veränderungen.

Die meisten Eltern fürchten die Pubertät oder denken mit Grauen an die Zeit, als aus ihren Kindern, zwischen Extremen schwankende Heranwachsende wurden. Dass die Pubertät nur eine Phase ist und somit einen Anfang und auch ein Ende hat, kann für Eltern die schönste Erkenntnis sein.

Eine ganz persönliche Erfahrung mit der Pubertät

Das Ende der hauseigenen Pubertät ist noch nicht abzusehen. Dafür lässt sich der Anfang sehr genau bestimmen. Nach der letzten Klassenfahrt wusste ich, dass die schönen Kindertage gezählt waren. Als der Bus hielt, stürmten dutzende Kinder aus dem Bus und rannten, umhüllt von Kinderschweiß, schreiend zu ihren Eltern. Küsschen hier. Küsschen da.

Umarmungen soweit man sehen kann

Nach nur einer Minute Kindergeschrei wusste ich, wie die Klassenfahrt gelaufen ist, wie man auf Schatzsuche war, wie man im See schwimmen war und was es zu essen gab. Doch eine Kreischstimme fehlte. Wo steckt der eigene Nachwuchs? Und dann. Filmreif verlassen sie den Bus. Sie – die coolen Jungs. Schweigend. Und mit Sonnenbrillen. Ich ergraue. Oder ich fühle mich so, als ob ich ergraut wäre. Wo ist das Kind und wer ist dieser Kerl, der einfach nur Hi! sagt und mir die Reisetasche vor die Füße knallt. Traurig, aber wahr, das ist meiner.

Auf dem Weg nach Hause male ich mir aus, was da wohl auf uns zukommen wird. Mir geht ein Cover des Satiremagazins Titanic durch den Kopf: Ein Porträt der Band Tokio Hotel mit dem Slogan: Dann lieber aussterben: Vier gute Gründe gegen Kinder. Andere Fragen schießen mir durch den Kopf. Hat er jetzt eine Freundin? Hat er schon Alkohol probiert? Wenn er jetzt eine Freundin hat, dann wird sie auch zu uns nach Hause kommen. Den Gedanken verfolge ich nicht weiter, denn im Kinderzimmer stehen Star Wars-Figuren im Regal, das Playmobil ist noch nicht verstaubt, dutzende Bälle in allen Größen und Varianten verhindern ein barrierefreies Durchqueren des Zimmers und letztendlich liegt im Bett noch die gute, alte Pokemon-Bettwäsche. Den Damenbesuch kannst du dir abschminken, mein Freund.

Und er? Er schweigt. Die Sonnenbrille lässt das Schweigen irgendwie cool wirken. Jetzt bin ich vollkommen irritiert. Er wirkt so lässig. Er wirkt so lässig, ohne dass er eins von den T-Shirts trägt, die ich ihm gekauft habe, weil ich sie so lässig fand. Warum wirkt er so lässig? Wahrscheinlich, weil er die Lässigkeit für sich entdeckt hat.

Das Leben mit Pubertät

Noch schmunzele ich darüber. In den nächsten Tagen treibt mich diese neu entdeckte Lässigkeit in den Wahnsinn. Auch die kinderzimmereigene Couch, leidet darunter. Sämtliche Freizeitaktivitäten finden jetzt auf dieser statt. Selbst die Wii-Spielekonsole, die eigentlich körperlich aktive Teilnehmer voraussetzt, kann im Liegen und ohne jegliche Restkörperregung bedient werden. Zudem wurde eine neue Form des Multitaskings entwickelt: auf der Couch liegend, kann jetzt Fernseh geguckt werden, während dabei ein Onlinespiel auf dem PC läuft, die Stereoanlage gegen die Lautstärke des Fernsehers ankämpft und dabei noch Gitarre gespielt wird. Dazu wird noch etwas gegessen, mit Freunden telefoniert und ich weiß nicht wie, aber gleichzeitig werden noch die Hausaufgaben erledigt. Und diese fast fehlerfrei.

Außerdem wurde das Kommunikationsverhalten auf Einsilbigkeit umgestellt. Diese Sprachform wurde irgendwann von einem ganz fiesen Teenager entwickelt, um erwachsene Menschen in den Wahnsinn zu treiben. Parallel dazu entwickelte sich eine Omnipotenz, die in Worten kaum zu beschreiben ist und welche die menschliche Vorstellungskraft an ihre Grenzen treibt. Zwei typische Aussagen der pubertären Allmacht sind: Das kann ich und Das weiß ich.

Dies impliziert, dass der Pubertierende auch alles will, was er noch gar nicht darf. Das was er darf, ist langweilig, dumm, für Kinder – kurz gesagt, das will er nicht. Die neue Omnipotenz stellt auch das elterliche Wissen und die Erfahrung in Frage. Zumindest solange bis der Pubertierende feststellt, dass er eines mündigen Erziehungsberechtigten bedarf. Sei es als Geldgeber oder Dosenöffner.

Gefährlich wird es, wenn Sie dem Pubertierenden die Illusion der Omnipotenz nehmen und einfach nur Recht haben. Dann ist er beleidigt und verzieht sich auf die oben beschriebene Couch. Allgemein kann hinzugefügt werden, dass Beleidigt-sein ein häufig vorzufindender Zustand ist, welcher eines minimalen Auslösers bedarf. Ich übertreibe. Ein bisschen.

Zu groß für Spielzeug – zu klein für die Welt

Die Schilderungen im vorhergehenden Text mögen ein wenig übertrieben wirken, doch sind es genau diese Sachen, die Eltern in den Wahnsinn und zur Verzweiflung treiben. Bei manchen Kindern verläuft die Pubertät konfliktfrei oder konfliktfreier als bei anderen. Die Pubertät ist eine Zeit der Veränderung, der körperlichen als auch der geistigen. Während einige Kinder sich komplett zurückziehen und über ihr da-sein in der Welt sinnen, flippen andere völlig aus und bewegen sich zwischen Extremen.

Doch bringt die Pubertät auch Positives. Habe ich mich anfangs noch über den Sonnenbrille tragenden Nachwuchs amüsiert, muss ich jetzt zugeben, dass mich dies auch begeistert. Er macht einen auf Großen, ist aber immer noch ein Kleiner. Er ist nicht mehr Kind, sondern jemand der langsam erwachsen wird und bald fort sein wird. Vieles hat sich schlagartig verändert. Am deutlichsten fällt das bei Gesprächen auf. Sie haben an Qualität und Inhalt gewonnen. Sie sind kritischer geworden und fordern einen selbst heraus. Selbst die Freizeitaktivitäten sagen jetzt mehr zu, da sich die Kinder für den Kinderkram nicht mehr interessieren und vieles ausprobieren wollen, was nur Jugendliche oder Erwachsene machen.

Treibt einen das pubertäre Gehabe auch in den Wahnsinn, sollte man sich darauf einstellen, dass es immer schlimmer wird, aber das Ganze auch irgendwann vorbei ist.

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