Extreme Erziehungsmethoden Laissez-faire-Stil und Antipädagogik Oliver Kuhnert Immer wieder kommt es vor, dass ein Extrem ins Gegenteil umschlägt. So auch bei der autoritären Erziehung. Während diese sehr streng ist, lehnen einige ihrer Kritiker es gänzlich ab, das Kind zu beeinflussen und einzuschränken. Lange Zeit wurde das familiäre und gesellschaftliche Leben fast ausschließlich von autoritären Strukturen bestimmt – bis sie ins Visier der 68er-Bewegung gerieten. Dabei drängten die Kritiker aber nicht nur darauf, den Machtmissbrauch der Erziehungspersonen zu unterbinden, sondern forderten mitunter die vollständige Abschaffung jeglicher Ungleichheit. Die Konsequenz ist ein nahezu unbegrenzter Freiraum für Kinder. Laissez-faire-Stil Oft unterstellt man den Anhängern der antiautoritären Erziehung, dass sie die unbegrenzte Freiheit fordern beziehungsweise praktizieren und die Kinder damit zu rücksichtslosen Flegeln erziehen. Das hat aber mit der ursprünglichen Form antiautoritärer Erziehung nichts zu tun. Denn erstens lehnt sie Autorität nicht grundsätzlich ab, und zweitens legt sie ja besonderen Wert auf die soziale Kompetenz des Kindes, was Kritikfähigkeit und gegenseitige Rücksichtnahme mit einschließt. Wenn man dem Kind sehr viel Freiraum lässt und auf sein Verhalten kaum Einfluss nimmt, entspricht dies eher dem Laissez-faire-Stil. Kennzeichnend dafür ist eine große Passivität, ja sogar Gleichgültigkeit gegenüber dem Kind, das fast ausschließlich sich selbst überlassen und kaum mit irgendwelchen Ansprüchen konfrontiert wird. Das kann bis zur Vernachlässigung gehen, ob nun aus falsch verstandener Rücksichtnahme oder aus schierem Desinteresse seitens der Eltern. Da das Kind dabei kaum Bestätigung und elterliche Nähe erfährt, mangelt es ihm an Selbstvertrauen. Später fällt es ihm oft sehr schwer, zwischenmenschliche Beziehungen anzuknüpfen und aufrechtzuerhalten. Außerdem kommt es in der Schule und im Beruf häufig zu Anpassungs- und Leistungsproblemen – die Kinder beziehungsweise die späteren Erwachsenen sind im außerfamiliären, zum Teil stark regulierten Alltag schlichtweg überfordert. Es fehlt ihnen an Konzentration, Ausdauer und Disziplin. Antipädagogik Ähnlich radikal ist die Meinung der sogenannten Antipädagogik. Sie ist für die absolute Gleichberechtigung des Kindes und lehnt jegliche Erziehung als eine Form der Ungleichheit und des Machtmissbrauchs ab. Stattdessen vertrauen die Antipädagogen darauf, dass das Kind selbst entscheiden kann, was es will und braucht. Der Erwachsene habe sich erst dann in den Lernprozess einzumischen, wenn das Kind von sich aus Hilfe will beziehungsweise wenn durch das Verhalten des Kindes andere Menschen beeinträchtigt werden. Konkrete, schon vorher feststehende Lernziele und -methoden werden als Einschränkung der kindlichen Freiheit betrachtet und daher verurteilt. Der Umgang mit dem Kind habe immer situationsgebunden zu sein, konkrete Ratschläge geben die Antipädagogen nicht. Dieses Konzept klingt sehr utopisch und ist entsprechend umstritten. So wirft man den Antipädagogen etwa vor, dass sie die Fähigkeiten des Kindes überschätzen. Es sei schlichtweg außerstande zu erkennen und zu entscheiden, was das Beste für sich ist, und bedürfe einer gewissen Führung. Gerade dadurch könne man es in seiner Entwicklung fördern. Auch kann das Kind nicht von sich aus die gesellschaftlich akzeptierten Umgangsformen und Regeln erlernen. Hinzu kommt, dass man im Umgang mit Kindern gar nicht wertfrei und unmethodisch vorgehen kann. Denn erstens steht man als Erwachsener immer wieder vor der Entscheidung, was man dem Kind vermitteln will oder darf, und zweitens erfolgt diese Vermittlung auf eine ganz bestimmte Art und Weise. Nur weil man vorher nicht angibt, wie man dem Kind etwas beibringt, heißt das noch nicht, dass man dabei keine konkrete Methode anwendet. Die allgemeine Verurteilung der Pädagogik ist also nicht nur ungerecht, sondern auch widersinnig. Die Kritik an der autoritären Erziehung ist durchaus berechtigt. Allerdings besteht immer auch die Gefahr, ins andere Extrem zu verfallen. Wenn man dem Kind kaum Grenzen setzt beziehungsweise weitgehend auf Anleitungen verzichtet, kann sich das sehr nachteilig auf seine Entwicklung auswirken.