Noch immer begegnen Einzelkinder vielen Vorurteilen

Einzelkindhaushalte

Einzelkinder: Sind die Vorurteile berechtigt?

Noch immer gibt es über Einzelkinder viele Vorurteile. Manche konnte die Forschung entkräften, andere wiederum bestätigen. Einzelkind zu sein, besagt jedoch nicht viel. Entscheidend ist, wie Eltern ihr Kind erziehen.

Die Vorurteile, denen Einzelkinder begegnen, haben ihren Ursprung in der Zeit um 1900, als zu jeder Familie durchschnittlich vier Kinder gehörten, Einzelkinder also sehr ungewöhnlich waren. Aufgrund einzelner persönlicher Erfahrungen werden die Vorurteile auch heute noch verbreitet. 

Obwohl der Trend in Richtung Kleinfamilie geht, bilden Einzelkindhaushalte lediglich einen Anteil von etwa 30 Prozent. Es überwiegen Familien mit zwei Kindern. Dass trotzdem die Geburtenraten sinken, liegt an den vielen kinderlosen Ehen bzw. Partnerschaften, deren Zahl weiter steigt.

Welche Vorurteile gegen über Einzelkindern gibt es?

Einzelkindern wird allerhand unterstellt. Überwiegend handelt es sich dabei um negativ besetzte Vorurteile. Demnach seien Einzelkinder vor allem ungesellige Egoisten. Es mangle ihnen an Einfühlungsvermögen; sie könnten sich nicht integrieren und seien unfähig zu teilen. Außerdem sollen sie sehr verwöhnt und entsprechend anspruchsvoll sein.

Auch sagt man Einzelkindern eine gewisse Altklugheit nach. Ferner seien sie besonders ehrgeizig, ja streberhaft und würden zur Selbstüberschätzung neigen.

Oft wird Einzelkindern auch unterstellt, weniger konfliktfähig zu sein und über eine sehr geringe Frustrationsgrenze zu verfügen. Zudem sollen sie besonders einsam sein.

Was sagt die Forschung über Einzelkinder?

Es gibt diverse Untersuchungen über die Eigenschaften und Ansichten von Einzelkindern. Hier einige bemerkenswerte Ergebnisse.

Eigenschaften und Verhalten

In ihrem Sozialverhalten unterscheiden sich Einzelkinder zumindest anfangs von Geschwisterkindern. Diesbezügliche Untersuchungen haben ergeben, dass Einzelkinder in den ersten Lebensjahren durchaus über weniger, dafür aber auch intensivere Kontakte verfügen. Zudem spielen sie länger und intensiver allein. Auch sonst sind sie deutlich selbständiger. Zwar sind jugendliche Einzelkinder sozial bzw. zwischenmenschlich immer noch weniger engagiert als Geschwisterkinder, jedoch ändert sich dies später. Als Erwachsene sind sie sozial genauso integriert und keineswegs ungeselliger. Über ihr Partnerschaftsverhalten fand man heraus, dass sie häufiger Singles sind, dafür aber weniger gescheiterte Ehen aufzuweisen haben.

Außerdem findet man Einzelkinder oft in Führungsrollen. Sie neigen stärker als Geschwisterkinder dazu, die Verantwortung zu übernehmen bzw. bei sich selbst zu suchen.

Über das Eltern-Kind-Verhältnis hat man herausgefunden, dass sich Einzelkinder, was Ansprüche und Leistungsstandards betrifft, stärker an den Eltern orientieren. Zudem haben sie im Allgemeinen ein besseres Verhältnis zu ihren Eltern.

Einzel- und Geschwisterkinder unterscheiden sich auch bezüglich ihrer Motivation und ihrer geistigen Fähigkeiten. So sind Einzelkinder in der Tat ehrgeiziger und leistungsorientierter. Unter  ihnen gibt es weniger Sitzenbleiber als unter Geschwisterkindern und sie erreichen auch öfter qualifizierte Schulabschlüsse und Berufsausbildungen. Sie schneiden zudem besser bei Intelligenztests ab, sind kreativer und verfügen über eine höhere Verbalkompetenz.

Auch hat man festgestellt, dass Einzelkinder laut Selbsteinschätzung nicht weniger glücklich sind als Geschwisterkinder. Sie sollen sogar psychisch stabiler und krisenfester sein (z.B. bei Scheidungen) und konsumieren weniger Drogen als Geschwisterkinder.

Was sagt uns das?

Die Ergebnisse zeigen, dass einige Vorurteile über Einzelkinder durchaus begründet sind, so z.B. der Wissensvorsprung von Einzelkindern, ihr anfänglicher (!) Mangel an sozialen Kontakten, ihr Ehrgeiz und ihre Dominanz in Gruppen. Andere Vorurteile wurden widerlegt, etwa die soziale Inkompetenz von Einzelkindern, ihre Einsamkeit und ihre psychische Instabilität.

Man sollte diese Ergebnisse jedoch nicht überbewerten. Denn weder nehmen sie einem die Entscheidung darüber ab, wie viele Kinder man bekommen möchte, noch sagen sie voraus, wie sich ein Kind im konkreten Fall entwickeln wird.  Das hängt von der Anlage des Kindes und vom sozio-ökonomischen Umfeld ab – vor allem natürlich von den Eltern. Es kommt darauf an, seinen Nachwuchs auf die bestmögliche Weise zu erziehen und zu fördern. Ob man nun ein, zwei oder noch mehr Kinder hat, ist dabei nebensächlich.

Chancen und Gefahren bei der Erziehung

Wie sich ein Einzelkind entwickelt, steht nicht von vornherein fest. Entscheidend ist, was die Eltern aus der Situation machen. Es liegt in ihren Händen, die besondere familiäre Situation zum Vorteil ihres Kindes zu nutzen.

Einzelkind- und Geschwisterkindhaushalte sind an sich weder gut noch schlecht. Sie stellen lediglich zwei unterschiedliche Familienformen da, die jeweils bestimmte Chancen und Gefahren bergen. Ob man für seine Kinder ein positives Umfeld schafft, indem die Chancen genutzt und die Gefahren vermieden werden, hängt maßgeblich von den Eltern ab. Wenn man ein Einzelkind hat, sollte man daher Folgendes berücksichtigen.

Chancen

Keine Geschwister zu haben, bedeutet zunächst, dass man mehr Aufmerksamkeit, Zuwendung und Förderung seitens der Eltern bekommt bzw. bekommen kann. Laut Studien haben Einzelkinder z.B. mehr Körperkontakt zur Mutter und spielen mehr mit ihr als Geschwisterkinder. Eine besondere Zuwendung seitens der Eltern ermöglicht den Kindern, großes Vertrauen in sich selbst und ihre Mitmenschen aufzubauen. Dies ist wichtig für die psychische Stabilität der Kinder.

Gleichzeitig wird bei Einzelkindern in besonderem Maße die Selbständigkeit gefördert. Da sie sich zudem stärker an ihren Eltern orientieren als an Gleichaltrigen, fördern das Vorbild und die Ansprüche der Eltern die Leistungsbereitschaft der Kinder. Darüber hinaus haben sie mehr Ruhe und Zeit für sich und können so ihre Talente gut entwickeln bzw. ihre Schwächen abbauen.

Gefahren

Das Fehlen von Geschwistern hat aber auch zur Folge, dass die Kinder innerhalb der Familie nicht lernen, mit Konkurrenz umzugehen bzw. sich mit anderen zu arrangieren, dass sie zudem weniger Gemeinschaftsgefühl entwickeln und auch keine Verantwortung übernehmen müssen. Da man all dies lernen muss, um im späteren Leben zurecht zu kommen, sollten Einzelkinder früh den Kontakt zu anderen Kindern suchen (Sandkastenfreundschaften, Kindergärten, Vereine).

Weitere Gefahren bestehen in der Überforderung, Verwöhnung und Vernachlässigung des Einzelkindes.

Eltern sollten vermeiden, überzogene (womöglich sogar ihre eigenen) Bedürfnisse und Ansprüche auf das Kind zu projizieren. Sonst kann es zu Versagensangst und Menschenscheu kommen. Verwöhnt man sein Kind hingegen, wird es unselbständig und ist späteren Konflikt- und Mangelsituationen hilflos ausgeliefert.

Auch nutzt es natürlich nichts, Einzelkind zu sein, wenn die Eltern ihrer Arbeit und ihren eigenen Problemen mehr Aufmerksamkeit schenken als ihrem Nachwuchs. Statistiken zufolge sind oft beide Elternteile von Einzelkindern berufstätig, was jedoch nichts heißen muss. Untersuchungen zeigen außerdem, dass Einzelkinder häufiger mit der Trennung ihrer Eltern konfrontiert sind als Geschwisterkinder. Darin liegt eine besondere Gefahr für das Kind – zum Einen, wenn der Kontakt zu einem Elternteil eingeschränkt wird oder sogar abbricht, zum Anderen, wenn das Kind als Spielball und Machtinstrument der Eltern benutzt wird.       

Für die Erziehung von Einzelkindern gilt, was für die Erziehung aller Kinder gilt. Man sollte ihnen einerseits ausreichend Zuwendung und Förderung zukommen lassen, sie andererseits aber auch mit angemessener Strenge und hin zur Selbständigkeit erziehen.   

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