Schuldnerberatung „Schulden sind ein Tabuthema“ Redaktion Michael Eham, Gründer der Schuldnerberatung Schuldenhelpline und Leiter der Schuldnerhilfe Köln, erläutert im Interview mit HalloFamilie die häufigsten Ursachen privater Verschuldung und gibt Einblicke in die Situation der Betroffenen. Herr Eham, mit welchen Summen werden Sie als Schuldnerberater in der Praxis konfrontiert? Michael Eham: Meistens handelt es sich um Schulden in Höhe von 10.000 bis 20.000 Euro. Es gibt aber durchaus Fälle, wo es zum Beispiel um eine gescheiterte Hausfinanzierung oder Selbständigkeit geht, bei denen die Schulden weit mehr als 100.000 Euro betragen. Welche Altersstruktur haben Schuldner? Gibt es Altersgruppen, die besonders betroffen sind? Michael Eham: Schulden können bei Erwachsenen in allen Altersgruppen angetroffenen werden. Die meisten Ratsuchenden von Schuldnerberatungsstellen befinden sich allerdings in der Altersspanne der 30- bis 50-jährigen. Dem Kontakt zu einer Schuldnerberatungsstelle geht allerdings häufig ein langer Weg in die Überschuldung voraus. So lässt sich oft feststellen, dass bereits mit 18 Jahren das Girokonto regelmäßig überzogen wurde. Ursachen von Überschuldung Gibt es ein Grundmuster, eine typische Geschichte, wie Ihre Klienten in die Überschuldung geraten? Michael Eham: Verlockende Kreditmöglichkeiten, unsichere Beschäftigungs- und Beziehungsverhältnisse sowie der Wunsch vieler Menschen, am materiellen Wohlstand teil zu haben, sind die Hauptfaktoren für den Anstieg der privaten Überschuldung. Hauptauslöser für finanzielle Krisen sind Arbeitslosigkeit sowie die Haushaltsauflösung durch Trennung oder Scheidung. In die Überschuldung können viele Wege führen, daher lässt es sich nur schwer ein Grundmuster beschreiben. Betroffen sind häufig Menschen ohne Ausbildung, die von Anfang an eher zu den unteren Einkommensbeziehern zählen. Hier werden bereits zur Gründung eines eigenen Haushaltes Kredite aufgenommen. Die Gründung einer Familie führt häufig zu einem erneuten Finanzbedarf. Da finanzielle Reserven fehlen, droht bei Verlust des Arbeitsplatzes oder bei einer Trennung dann sehr schnell Armut. Wie erleben Sie die Menschen, die zu Ihnen kommen? Sind Schulden ein Tabuthema oder redet man inzwischen offen darüber? Michael Eham: Die Tatsache, dass Menschen nach wie vor erst dann eine Schuldnerberatung aufsuchen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, zeigt, dass Schulden immer noch ein großes Tabu-Thema darstellen. Wenn die Betroffenen zu uns in die Beratung kommen, haben sie bereits den ersten Schritt getan, um aus ihrem Dilemma herauszufinden. Viele Ratsuchende sind bei ihrem Erstgespräch vor allem erleichtert darüber, dass sie mit jemanden offen über ihre für sie aussichtslose Situation reden können. Durch die Beratung erhalten sie konkrete Hinweise, welcher Schritt als erstes zu tun ist. Das macht Mut und Hoffnung, Stück für Stück aus dem Schuldensumpf herauszukommen. Kinder leiden besonders unter prekären Finanzen In der öffentlichen Meinung entsteht zunehmend das Bild, dass gerade sozialschwache Schuldner ihre Situation nicht im Griff haben und sich oft nur noch passiv dem Gang der Dinge hingeben. Sind Schulden bei Armen quasi vorprogrammiert? Michael Eham: Längst nicht jeder arme Haushalt hat Schulden, aber die Schuldengefährdung ist bei Menschen, die arm sind, natürlich vergleichsweise höher als bei Gut-Verdienern mit einer Top-Ausbildung. Besonders gefährdet sind Familien und Alleinerziehende, die nur über ein geringes Haushaltseinkommen verfügen. Hier leiden ganz besonders auch die Kinder unter der finanziell prekären Situation. Dennoch wird immer wieder behauptet, dass der Staat zu großzügig im Umgang mit Privatinsolvenzen ist. Wird es überschuldeten Privathaushalten tatsächlich zu leicht gemacht? Michael Eham: Menschen, die in die Privatinsolvenz gehen, leben sechs Jahre und oft länger am Rande des Existenzminimums. Das ist kein Vergnügen. Erst danach sind sie schuldenfrei. Für die meisten bleibt auch danach der Lebensstandard bescheiden. Werden Banken in Zukunft bei der Kreditvergabe genauer die Solvenz ihrer Kunden prüfen? Michael Eham: Banken verwenden jetzt schon ausgeklügelte Strategien, um das Ausfallrisiko von Krediten zu begrenzen. Die Risikobereitschaft ist hierbei von Bank zu Bank unterschiedlich. In jedem Fall zahlen die Kreditkunden mit ihren Zinsen den das Ausfallrisiko mit. Man kann nicht mehr ausgeben als man einnimmt Können Sie als Fachmann der Schuldnerberatung Tipps zur Prävention der Verschuldung geben? Michael Eham: Auch wenn es altmodisch klingt, sollte sich jeder Privathaushalt zunächst die einfache Regel klarmachen, dass man grundsätzlich nicht mehr ausgeben kann als man einnimmt. Außerdem muss jeder trotz aller verlockenden Werbung vor Augen führen, dass man Kredite zurückzahlen und für das Leihen von Geld viel Geld – sprich Zinsen – bezahlen muss. Bevor man einen Kredit aufnimmt, sollte man sich in jedem Fall einen Überblick über die eigene finanzielle Haushaltssituation verschaffen und eine ehrliche realistische Haushaltsplanung für die Dauer der Kreditlaufzeit machen. Wichtig bei der Planung ist, dass trotz der Kreditraten noch monatliche Geldreserven im Haushaltsbudget vorhanden sind, um für Unvorhergesehenes gewappnet zu sein. Falls sich während der Kreditlaufzeit durch unvorhergesehene Entwicklungen Zahlungsprobleme ergeben, sollte man auf keinen Fall den Kopf in den Sand stecken, sondern sich umgehend möglichst noch bevor ein Zahlungsrückstand eingetreten ist, an eine Schuldnerberatung wenden. *Seit 2006 bietet die Schuldenhelpline der Schuldnerhilfe Köln die erste nicht-kommerzielle bundesweite Schuldnerberatung per Telefon und im Internet unter www.schuldenhelpline.de an. Diese Projektarbeit mit Modellcharakter wird vom eigens dafür geschulten, hochqualifizierten Beratungsteam geleistet.Für direkte Hilfe erreichen die Ratsuchenden die Berater der Schuldenhelpline unter der Nummer 0800 – 689 689 6. Die Schuldenhelpline ist montags bis freitags von 10:00 – 13:00 Uhr und zusätzlich dienstags und donnerstags von 15:00 – 18:00 Uhr besetzt.