Zweisprachige Erziehung von Kindern Zwischen zwei Welten Dylan Scott Gesunde Kinder erwerben Sprachen quasi von selbst. In der Regel brauchen sie dafür keine gezielte Förderung, sondern lediglich eine normale Hör-, Sprech- und später Lese- und Schreiberziehung. Ersteres kommt bereits in den ersten Monaten zum Tragen, wenn das Neugeborene die Stimmen der Eltern wahrnimmt, also auch die Sprachlaute bzw. Intonationen der jeweiligen Sprachen der Eltern. Wenn das Kind die Laute ausreichend ausgesetzt ist, nimmt es diese in seinem jeweiligen Sprachrepertoire auf. Das Lesen und schreiben der Umgebungssprache lernt das Kind, in der Regel, ganz normal in der Schule. Der Reiz der Umgebungssprache Der Weitererwerb der Nichtumgebungssprache kann dagegen mit Schwierigkeiten verbunden sein, weil sie im Umfeld des Kindes nicht selbstverständlich präsent ist und häufig nicht geschult wird. Häufig sieht das Kind daher keinerlei Veranlassung, die Nichtumgebungssprache der Mutter oder des Vaters zu sprechen, da der überwiegender Reiz in der Umgebungssprache liegt (zumal Kinder gleichen Alters meistens in der Umgebungssprache sprechen). Nicht simultaner Spracherwerb, also das Erlernen der schriftlichen Fähigkeiten der zweiten Sprache im späteren Kindesalter, führt häufig zu einer starken und schwachen Sprache des Kindes. Code-Switching Zu gemischten Äußerungen in den Sprachen – auch Code-Switching genannt – kommt es, wenn eine Ausdruckswahl oder Ausdrucksstrategie angewendet wird, die der Sprecher auswählt, um bestimmte Bedeutungsnuancen zu vermitteln, die er oder sie für so relevant hält, dass sogar eine sprachliche Grenze überschritten wird. Bei zweisprachig aufwachsenden Kindern ist diese wahrgenommene Grenze gar nicht oder wenig vorhanden. Dementsprechend ist die Bereitschaft, zwischen verschiedenen Sprachen – auch innerhalb eines Satzes – zu wechseln ganz natürlich. Code-Switching spiegelt demnach nicht die mangelnde Sprachkenntnisse des Benutzers, sondern vielmehr seine oder ihre sprachliche Vielfalt sich auszudrücken. Problematischer ist es zu erkennen, wann und wo die Nichtumgebungssprache zu verwenden ist und wann nicht. Mann sollte meinen, dass gerade Kinder Schwierigkeiten haben müssten dies zu unterscheiden, aber wie Forschungen zu diesem Thema gezeigt haben, besitzen Kinder ein ausgesprochen gutes Gespür dafür, wann ihr Gesprächspartner sie versteht und wann nicht. Dennoch kommt es häufig vor, dass sich ein Zuhörer vom Gespräch ausgegrenzt fühlt, wenn Eltern und Kind sich in der Nichtumgebungssprache unterhalten. In der Gegenwart von Dritten wechseln daher viele Eltern im Gespräch mit ihrem Kind in die Sprache der Umgebung. Praktisch ist dies nicht zu vermeiden, es sei denn, man hat die Geduld konsequent zu bleiben und den betroffenen Menschen zu erklären, warum. Dies ist aber für die meisten Eltern auf lange Sicht einfach unpraktikabel. Anders sieht es in Städten mit einem hohen Anteil an Immigranten aus, in denen sich eine ethnische Gruppe ballt, oder in Ländern mit historisch geprägter Mehrsprachigkeit. Bei ethnischen Gruppen innerhalb einen stabilen Sprachraumes wird ihre Sprache bis in die vierte Generation weitergegeben, um letztendlich von der Umgebungssprache übernommen zu werden. In der Schweiz oder Texas (USA) beispielsweise, wo zwei (oder mehr) dominante Sprachen von außen einwirken, vermischen sich die Sprachen eher und kristallisieren sich zu einem Dialekt, was wiederum nationale Identität tragen kann. Hier Schwyzertütsch und Tex Mex. Selbst diese Makro-Sicht zeigt einen kleinen Einblick in die Schwierigkeit, die Gruppen oder gar Nationalitäten haben können, um ihre Sprache beizubehalten. Eltern müssen sich daher immer wieder fragen, ob es sinnvoll ist, ihrem Kind beide Sprachen annähernd perfekt zu vermitteln, oder ob sie ihm lediglich Grundlagen in einer der Sprachen mit auf dem Weg geben wollen. Ihre Erwartungen sollten auf realistischen Überlegungen basieren: Die wenigsten zweisprachigen Menschen sind sprachlich ausgeglichen, beherrschen also beide Sprachen perfekt. Sie haben meist eine starke und eine schwache Sprache, was selbst oft noch bei Bilingualen, die die Sprachen simultan erworben haben, zu finden ist (wenn auch auf höherem Niveau). Sprache als nostalgischer Wert Die Sprache der eigenen Eltern, also die Sprache der eigenen Kindheit, in einem anderssprachigen Land zu vermitteln, kann mit Anstrengung für Kind und Eltern verbunden sein und basiert häufig auf einem nostalgischen Wert seitens des Elternteils, der die Nichtumgebungssprache vermitteln möchte. Wer aber halbwegs realistisch bleiben will, sollte lediglich die rudimentären Kenntnisse der eigenen Muttersprache an den Nachwuchs weitergeben oder eben bereit sein, konsequent mit dem Kleinkind die eigene Muttersprache zu sprechen und gelegentlich davon in der Öffentlichkeit abzuweichen. Letzteres ist oftmals schwer. Auf der anderen Seite zeigen Berichte, dass die praktische Umsetzung des Prinzips „eine Person – eine Sprache“, also ein Elternteil – eine Sprache, problematisch ist, und hier vor allem die Verweigerung des Gebrauchs der Nichtumgebungssprache durch das Kind. Wird mit dem Kind mal in der einen, mal in der anderen Sprache gesprochen, wird ihm die Bedeutung der Muttersprache als solche nicht klar, und es wird sich eventuell stur stellen. Wird aber zwischen der eigenen Sprache und der der Öffentlichkeit klar unterschieden, kann sich das Kind darauf einstellen und sogar eine eigene Strategie entwickeln. In jedem Fall ist ein Aufenthalt in dem Land der Muttersprache zu empfehlen, damit das Kind die Bedeutung dieser Sprache vermittelt bekommt und nicht der Illusion verfällt, die Sprache der Eltern wäre eine rein häusliche Angelegenheit.