Kinderwunsch Ungewollt kinderlos: Wenn innere Hindernisse den Weg blockieren Nicole Regli „Alle werden schwanger, nur ich kann das nicht. Es ist so unfair!“ Neid, Ärger, Wut und Trauer, dann wieder Hoffnung, Zuversicht, Euphorie – diese Achterbahnfahrt der Gefühle ist Frauen nur allzu vertraut, die sich sehnlichst ein Kind wünschen und lange darauf warten müssen. Wenn das „Natürlichste“ nicht eintreffen will, bricht für nicht wenige von ihnen eine Welt zusammen. In dieser emotional herausfordernden Zeit braucht die Psyche besondere Unterstützung. Die Kinderwunschzeit, eigentlich eine Lebensphase der Vorfreude, kann sich zu einer Jahre andauernden Belastung entwickeln, wenn es mit der Schwangerschaft nicht klappen will, egal, welche Strapazen ein Paar auf sich nimmt. Das Letzte, was eine Frau in dieser Situation hören möchte, ist: „Du musst das einfach entspannter sehen, dann klappt das schon“. Viele Frauen geben sich ohnehin schon selbst die Schuld – gerade dann, wenn sich keine biologische Ursache für die ungewollte Kinderlosigkeit finden lässt.Es stimmt zwar, dass sich große Anspannung und andere innere Hindernisse negativ auf die Fruchtbarkeit auswirken können – ebenso wie zum Beispiel Rauchen, Alkohol, Über- und Untergewicht. Falsch ist aber die Formel: Nicht entspannt = selber schuld. Selbstvorwürfe erhöhen den Druck nur noch weiter und werden schnell zu negativen Glaubenssätzen. Die Art und Weise, wie wir über uns denken, spielt eine wesentliche Rolle für unser Befinden. Selbst dann, wenn eine ärztliche Untersuchung eine medizinische Ursache der Kinderlosigkeit aufdeckt, kann der gedankliche Umgang mit der Diagnose einen großen Unterschied machen. Bei einer Lungenentzündung gehen wir automatisch davon aus, dass wir wieder gesund werden und dass die erhaltene Diagnose eine Momentaufnahme ist. Warum soll das nicht auch bei Diagnosen rund um die Fruchtbarkeit gelten? Der Satz „Ich habe im Moment verklebte Einleiter“ hat eine völlig andere Wirkung als „Ich habe verklebte Eileiter.“ Positive Affirmationen gegen negative Gedanken Negative Gedanken lassen sich mit positiver Affirmation umkehren. Dann wird aus „Alle werden schwanger, nur ich kann das nicht“ der Satz: „Was andere schaffen, kann ich auch“. „Mein Körper ist nutzlos“ wird gewandelt in: „Mein Körper gibt tagtäglich sein Bestes“. Hilfreich ist es, die Sätze aufzuschreiben, bis sie verinnerlicht sind. Anhaltender Stress hemmt die Fruchtbarkeit In einer amerikanischen Studie wurde festgestellt, dass Frauen, deren Speichel einen hohen Wert des stressanzeigenden Enzyms Alpha-Amylase enthielt, fast ein Drittel länger warten mussten, bis sie schwanger wurden, als Frauen mit niedrigem Stresslevel. Anhaltender Stress kann die hormonellen Prozesse durcheinanderbringen, die für die Fortpflanzung notwendig sind. Die Infertilitätsforscherin Alice Domar drückt es so aus: „Ihr Körper ist schlau, er weiß, dass (Stressperioden) keine guten Zeiten sind, um ein Baby zu bekommen“. Also doch „einfach entspannter“ mit dem Kinderwunsch umgehen? Auf jeden Fall helfen Entspannungstechniken dabei, die große emotionale Herausforderung eines unerfüllten Kinderwunsches zu bewältigen. Sie führen auf den Weg zu einer positiven inneren Haltung und helfen dabei, die Kinderwunschzeit als Chance zur persönlichen Entwicklung zu begreifen. Ob Meditation, entspannende Bäder, Yoga oder Spaziergänge in der Natur – was am besten geeignet ist, hängt von der Persönlichkeit ab. Wichtig ist in jedem Fall, die Relax-Meetings mit sich selbst in den Kalender einzutragen und regelmäßig tief zu atmen. Körper und Geist begegnen sich nicht auf einer Einbahnstraße. Schon das Heben des Kopfes kann eine erste Veränderung bewirken. Denn unsere wichtigsten Sinnesorgane befinden sich alle am Kopf: Augen, Nase, Mund und Ohren. Mit gehobenem Kopf bekommen wir besser Luft und straffen automatisch die Schultern. Mit der Haltung eines optimistischen Menschen lässt sich nicht traurig sein. Lachen und Freude sind in der Kinderwunschzeit besonders wertvoll. Lächeln und Lachen stärkt das Herz. Zu den Übungen für eine optimistische Haltung gehört, vor jedem Schluck Tee oder einem Bissen vom Essen fünf Sekunden lang zu lächeln. Vom Umgang mit schwierigen Momenten Um Missverständnisse zu vermeiden: Es geht nicht etwa darum, schwierige Momente wie einen negativen Schwangerschaftstest oder eine belastende Diagnose wegzulächeln und schönzureden. Im Gegenteil: Sich den eigenen Gefühlen und Ängsten zu stellen, ist unverzichtbar. Darüber zu sprechen hilft ebenso wie sie aufzuschreiben. Auch Weinen ist ein wichtiger Teil des Prozesses. Wenn die Tränen fließen, produziert das Nervensystem beruhigende Stoffe, die Körper, Geist und Seele entspannen und aufbauen. Die Tränendrüsen werden zum natürlichen Heiler. Bei Paaren kann zwischen Zyklus-Apps, Ovulationsstäbchen und Kalendersex die Leichtigkeit der Liebe verloren gehen. Gemeinsame Zeit, in der das Babythema keine Rolle spielt, ist ein wirksames Gegenmittel. Kino- oder Konzertbesuche, Waldspaziergänge, gemeinsamer Sport und vor allem gemeinsames Lachen helfen dabei, als Paar gesund durch die Kinderwunschzeit zu gehen. Wenn nichts mehr hilft: Unterstützung von außen Aber manchmal hilft alles Meditieren, Entspannen und Lachen nicht mehr. Der Kinderwunsch ist zur Obsession geworden, die psychische Belastung zu groß. Dann ist es an der Zeit, sich Unterstützung zu suchen, beispielsweise bei einem Psychologen oder einer Kinderwunsch-Coachin. Eine liebevolle Perspektive von außen kann durch neue Inputs und Denkanstöße Wunder wirken. Über Nicole Regli:Nicole Regli ist ausgebildete Mental-Coachin und selbst vierfache Mutter. Seit über fünfzehn Jahren begleitet sie Paare mit unerfülltem Kinderwunsch. In ihrer Arbeit und ihrem Buch „Eizellenglück“ unterstützt sie Frauen und Paare dabei, zur Freude zurückzufinden und die Zeit des Kinderwunsches entspannt und achtsam zu erleben. Webseite: https://www.nicoleregli.ch/